Erwin Kräutler
Bischof der Prälatur am Xingu im Amazonasgebiet
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25.3.2008 | ||||||||||||||
"Ihre
letzte Geste ist unser Auftrag" |
Morddrohungen gegen Bischof Erwin Kräutler |
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Neueste
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Mein Leben ist wie der Amazonas. Der
Amazonas ist längst ein Symbol für mein Leben. Er fließt
stundenlang ruhig dahin. Plötzlich, wie ein Blitz aus heiterem
Himmel, ein schrecklicher Sturm, der die Wellen haushoch emporpeitscht.
Ich bin Bischof im Amazonasgebiet und die Prälatur ist nach dem Xingu benannt, einem der größten Nebenflüsse des "Rio-Mar", wie der Amazonas auch im Volksmund genannt wird. Kurz vor Weihnachten 1965 bin ich in Altamira angekommen. Seit 1980 stehe ich dem flächenmäßig größten Bistum Brasiliens vor, jede der zehn Pfarren im Diözesangebiet hat zwischen dreißig und neunzig Basisgemeinden. In Europa entsprächen die meisten dieser Pfarren einer Diözese. In den zwanzig Indianerdörfern wohnt die Urbevölkerung des Xingu-Tales: Kaiapó, Asurini, Araweté, Parakaná, Xikrin, Arara. Als Bischof habe ich "keine bleibende Stätte". Ich bin viel unterwegs, ziehe von Ort zu Ort, besuche die Gemeinden, höre mich heiser, versuche die pastorale Arbeit zu koordinieren, sorge mich um die Verwaltung, bemühe mich um das geschwisterliche Gespräch, mache Mut, gebe Denkanstöße und ziehe Schlußfolgerungen. Ich bin unterwegs, mit dem pilgernden Volk Gottes am Xingu und Amazonas. Ich leide, glaube und hoffe mit diesen Menschen. Ich liebe dieses Volk. Aber wie geht es mir dabei? Mein Leben kann ich mit dem Amazonas vergleichen: Ruhe und Sturm, Ebbe und Flut. Ich bin traurig und fröhlich, bedrückt und dann wieder glücklich über so manche Veränderung. Wenn auch kleine Erfolge, sind es immer Lichtblicke. Ich spüre die Ohnmacht angesichts so vieler Ungerechtigkeit und bin empört über all die Ausbeutung und Plünderung der Menschen und ihrer Mit-Welt. Dann wieder begeistert mich diese und jene Initiative, die bezeugt: Das Reich Gottes beginnt hier und jetzt! Alle diese Eindrücke überwältigen mich. Kein Tag gleicht dem anderen. Immer wieder stoße ich auf neue Erfahrungen und auf meine Grenzen. Inmitten der Armen hat mich im Juni 1983 die Militärpolizei herausgegriffen, zu Boden geschlagen und verhaftet, weil ich mich den Protesten der Zuckerrohrpflanzer angeschlossen habe. Neun Monate wurde den Arbeitern die Bezahlung ihrer Ernte verweigert. Die Blockade der Transamazônica war der letzte Ausdruck ihrer allgemeinen Empörung über die Mißstände. Es gab keine andere Möglichkeit mehr, die Forderungen einzuklagen. Fotos von meiner Festnahme gingen damals durch viele Medien. Die Welt wurde auf die Situation am Xingu aufmerksam. Wenige Wochen später wählte mich die Generalversammlung des Indianermissionsrates (CIMI) der Brasilianischen Bischofskonferenz zum Präsidenten der Organisation. Noch stärker erfuhr ich die Bedeutung der mit-leidenden Dimension der Solidarität und spürte hautnah, was es heißt, sich für die Armen und die kulturell Anderen einzusetzen. Gefälschte Protokolle und Unterschriften, Lügen und Unterstellungen in den Medien waren die Spitze einer großangelegten Verleumdungskampagne. Den Hetzartikeln in den Zeitungen folgte ein inszenierter Verkehrsunfall. Nur knapp entging ich 1987 einem Zusammenstoß mit einem Lastwagen. Man erwischte den Falschen! Ein Mitbruder starb für mich, an meiner Seite. Das Unfallprotokoll vermodert längst in den Schubladen. Mit dem Hl. Paulus kann ich ausrufen: "Von allen Seiten werden wir in die Enge getrieben und finden doch noch Raum; wir wissen weder aus noch ein und verzweifeln dennoch nicht; wir werden gehetzt und sind doch nicht verlassen; wir werden niedergestreckt und doch nicht vernichtet" (2 Kor 4,8-9). Ich habe Leid am eigenen Leib erfahren. Viel mehr aber bin ich tagtäglich mit dem Schmerz, der Not, dem Elend, der Unterdrückung und Ausbeutung meines Volkes konfrontiert. Ich kann und darf nicht länger schweigen und es drängt mich, all dieses Unrecht beim Namen zu nennen, den Protest und die Anklagen über die Grenzen Brasiliens hinauszuschreien. Im Rampenlicht zu stehen, behagte mir nie! Es ist mir bewußt, daß mein Einsatz immer Kritik auslöst. Wer mich jedoch kennt, weiß, daß ich meine Ansichten, die aus Erfahrung und Schmerz gewachsen sind, mit Überzeugung vertrete. Auch noch so harte Anfeindungen oder Urteile, ich sei ein "Revolutionär aus der Buschhütte" oder naiver Träumer, können mich nicht einschüchtern. |
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Aus der Beilage zu "kontinente" Nov/Dez 2000: Hoffnung:
"A esperanca é a última que morre" In einer leidenschaftlichen Rede bei einer Versammlung der Christian Solidarity International ging Bischof Erwin Kräutler auf die Unterdrückung der Kirche in Brasilien ein. Wir möchten Ihnen Auszüge aus seiner Rede wiedergeben: Wenn jemand fragt, welche Eigenschaften, welche Gefühle Jesus kennzeichnen, dann denke ich immer an ein Ereignis, das uns Matthäus überliefert: "Als er die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen; denn sie waren müde und erschöpft wie Schafe, die keinen Hirten haben" (Mt 9,36). Jesus liebt die Armen. Sie sind es, die Jesus in den Mittelpunkt stellen, und denen er - wie etwa den Kindern und Frauen - seine besondere Aufmerksamkeit schenkt. ... Jesus liebt die Armen Das
Wort Befreiung birgt für die Armen Lateinamerikas die Hoffnung,
dass der morgige Tag eine Änderung bringt und die ersehnte Freiheit
der Kinder Gottes Wirklichkeit wird. Diese Hoffnung drängt zum gemeinsamen Handeln, zur Solidarität mit den Verelendeten. ... Als Kirche wirken wir nicht nur im sakralen Raum, ziehen uns zur Eucharistiefeier und Meditation zurück, sondern leben im "Hier und Jetzt" der Geschichte mit all ihren Hoffnungen und Illusionen, mit ihren Fortschritten und Rückschlägen, mit ihren Erwartungen und Enttäuschungen. In dieser Realität sind wir besonders gefordert, die neuen Götzen aufzudecken, die unsere Welt verehrt und auf die Kehrseite der Medaille hinuweisen. Bauern fehlt das Land, Familien haben kein Dach über dem Kopf Deshalb wendet sich die Brasilianische Bischofskonferenz in der derzeitigen Krise Brasiliens erneut an die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft und weist auf die grausame Realität hin: "In unserem Land stirbt ein Großteil der Bevölkerung, ohne im Leben gespürt zu haben, was soziale Rechte sind. Niemand hat je ihre elementarsten Bedürfnisse für ein menschenwürdiges Dasein berücksichtigt. Millionen Menschen hungern, haben keinen Zugang zu Schulbildung. Wenn sie erkranken, kommt kein Arzt. Bauern fehlt das Land, Familien haben kein Dach über dem Kopf. Es mangelt an Transportmitteln. Schutz und Sicherheit gibt es nur auf dem Papier. Die größte Not bedeutet, keine Anstellung zu finden. ( ... )" Wir können nicht gleichgültig und teilnahmslos bleiben angesichts der verheerenden Auswirkungen der gegenwärtigen Wirtschaftpolitik, die Land und Reichtum konzentriert, Menschen ausgrenzt, Arme benachteiligt, unterdrückt und vom Arbeitsmarkt ausschließt und dazu noch die Umwelt zerstört. Wir fordern eine Wirtschaftspolitik im Dienste der gesamten Gemeinschaft." ... Indigene Völker liegen halb tot am Wegesrand Jesus erbarmte sich nicht nur der vielen Menschen, die "müde und erschöpft" waren. Er verlangt auch unmissverständlich von uns Christinnen und Christen Barmherzigkeit (vgl. Lk 6,36). Das Gleichnis vom Samariter (Lk 10,25-37) zeigt, dass sich Barmherzigkeit nicht auf Mitleid und ein paar gute Worte reduzieren lässt, sondern konkrete Gesten und Taten fordert. Heute handelt es sich nicht nur um einen einzelnen Mann, der zwischen Jericho und Jerusalem unter die Räuber fiel. Es sind indigene Völker, Millionen von Armen, die halbtot am Wegesrand liegen. Nicht nur Erste Hilfe und Abtransport in ein Krankenhaus sind erforderlich, sondern das System, das ausgrenzt, das den Kuchen so ungerecht verteilt, muss hinterfragt werden. Strukturelle Sünde Und dieses System ist nicht so etwas wie die "Ananke" in einer griechischen Tragödie, das verhängnisvolle, unabänderliche Schicksal, das auf den Menschen hereinbricht und dem er nicht mehr entrinnen kann. Dieses System wurde von Menschen geschaffen. Menschen sind es, die es stützen, fördern und verteidigen. Also können diese "sündhaften Strukturen" auch von Menschen abgeändert werden, umgestaltet werden. Alle in der Welt, die in Politik und Wirtschaft Verantwortung tragen, rufen wir auf, den Schrei der Armen zu hören. ... Der Traum Gottes Es ist der Geist Jesu, der uns inspiriert, wenn wir uns für die Armen und Ausgeschlossenen einsetzen. Es sind nicht rein gesellschaftspolitische und wirtschaftliche Erwägungen, die uns leiten. Wir sind dem Wort Gottes, der Offenbarung verpflichtet, dem Traum Jesu, dass alle Menschen Geschwister, Töchter und Söhne eines väterlichen und mütterlichen guten Gottes sind. Wer dem Beispiel Jesu folgt, wird, selbst wenn Gefahr droht, die Herde nicht verlassen und das Weite suchen. In Lateinamerika gibt es genug Beispiele. Erwin
Kräutler C.PP.S. |
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Konto
Nr.: 2421501, BLZ 37429 |
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Leben: Erwin Kräutler wurde 1939 in Koblach/Vorarlberg in Österreich geboren. 1958 Eintritt in die Kongregation vom Kostbaren Blut, Studium in Salzburg, 1965 Priesterweihe, anschließend Missionar am Unteren Xingu und Amazonas. Im Januar 1981 wird er Bischof der flächenmäßig größten brasilianischen Diözese, Xingu, mit rund 350.000 km2 und etwa 400.000 Einwohnern, davon 3.500 Indianer. Sein Einsatz gilt der "Option für die Armen und die kulturell Anderen". Auf seine Proteste gegen politische, soziale und wirtschaftliche Mißstände reagieren die Verantwortlichen mit eindeutigen Drohungen. 1983 wird er bei einer Solidaritätsaktion mit Arbeitern, denen man monatelang den Lohn vorenthielt, niedergeschlagen, verhaftet und verhört. Von 1983 bis 1991 Präsident des Indianermissionsrates der Brasilianischen Bischofskonferenz - CIMI (Conselho Indigenista Missionário). Derzeit von der Generalversammlung des CIMI für das Referat "Internationale Solidarität" beauftragt. Kräutler Einsatz für die Rechte der indigenen Völker in der Verfassung bringen ihm Diffamierung, Angriffe und Todesdrohungen. 1987 wird er bei einem inszenierten Autounfall schwer verletzt, ein Mitbruder kommt ums Leben. Als Präsident von CIMI erreicht Kräutler 1988 mit internationaler Unterstützung, vor allem aus Österreich, die Anerkennung der Rechte der Indianervölker in der Verfassung. Seither bemüht er sich um die Durchsetzung dieser in der Konstitution verankerten Rechte. Bei zahlreichen Reden, Vorträgen und Diskussionen im In- und Ausland informiert er die Öffentlichkeit vom Überlebenskampf der indigenen Völker auf dem lateinamerikanischen Kontinent, drängt zum Bewußtseinswandel und zur Verhaltensänderung. Unermüdlich tritt er für die an den Rand gedrückten Menschen ein und fordert gerechte Lebensbedingungen. Seine Sorge gilt auch der Bewahrung der Schöpfung. Auf Einladung von Bundeskanzler Dr. Franz Vranitzky wirkt der Bischof als Berater bei der österreichischen Delegation bei UNCED im Juni 1992 in Rio de Janeiro mit. Als Delegierter der Brasilianischen Bischofskonferenz (CNBB) nimmt er an der IV. Vollversammlung des Lateinamerikanischen Episkopates im Oktober 1992 in Santo Domingo teil. Das Wirken des Bischofs wurde mit Preisen und Ehrungen ausgezeichnet: Erzbischof-Oscar-A.-Romero-Preis (1988) Binding-Preis für Natur- und Umweltschutz (1989) Dr.-Bruno-Kreisky-Preis für Verdienste um die Menschenrechte (1991) Ehrendoktorat der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften (1992) Dr.-Toni-Ruß-Preis (1992) Doktor der Theologie honoris causa (1992) Ehrenbürger von Altamira (1992) Dr.-Karl-Renner-Preis (1992) Doktor der Theologie honoris causa (1993) GlobeArt Award (2004) Referat [pdf] Ehrenpreis des Viktor Frankl-Fonds der Stadt Wien (2004) Bücher: Erwin
Kräutler, Mein Leben ist wie der Amazonas, Erwin
Kräutler, Die Nacht ist noch nicht vorüber, Erwin
Kräutler, 500 Jahre Lateinamerika - Kein Grund zum Feiern Erwin
Kräutler, Kirche mit indianischem Antlitz - Eine Utopie? Dolores
Bauer, Strom des Elends - Fluss der Hoffnung "Wir
müssen von unserem ethnozentrischen und euro-zentrischen Denken
und Handeln - auch in der Kirche gibt es ein kolonialistisches Gehabe
- abkommen und die indianischen Kulturen achten und auf sie Rücksicht
nehmen. Es geht nicht darum, diesen Menschen ein abendländisches
Glaubenspaket zu übergeben, sondern zunächst einmal darum,
in einem solidarischen Mit-Leben zu erfahren, wie sie denken, wie sie
selbst sind." |
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